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Selbst(er)findung als Selbstbehauptung
 (1. Teil)
Von Gerhard Haupt
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Index, 1985Als Pat Binder ihren künstlerischen Weg begann, entdeckte sie die Ausdruckskraft transparenter Bilder. In Assemblagen eingebaute Röntgenaufnahmen projizierten Knochenformen auf die Wände. Zehn Jahre später fällt das Licht durch eine Fotoschicht auf Glasscheiben. Der Bogen eines analogen Prinzips scheint sich zu schließen, doch Welten liegen dazwischen. Aus dem geradlinigen Existentialismus der Anfänge ist das komplexe Gefüge einer Kunst geworden, in der sich vielfältige Bewußtseins- und Bedeutungsebenen überlagern und durchdringen. Ihre Kunst ist für sie heute ein Selbstverständigungsprozeß, der zuweilen wie bei dem Buch aus Sand in der Parabel ihres großen Landsmannes Jorge Luis Borges abläuft: man blättert, stößt auf Neues, will es festhalten, sich vergewissernd zurückschauen, aber die vorhergehenden Seiten vervielfachen sich bis ins Unendliche eines Labyrinths möglicher Einblicke und lösen sich schließlich auf wie feiner Sand, der zwischen den Fingern zerrinnt. Aus zeitlicher Distanz ist nichts, wie es einmal war. Vermeintlich gültige Wahrheiten relativieren sich aus einer durch Erfahrung und Erkenntnis modifizierten Sicht. Selbst wenn sich bestimmte Gestaltungsideen wie ein roter Faden durch unterschiedliche Phasen ihres Schaffens ziehen, wandeln sich die Diktion und der Sinngehalt der Werke. Das bedeutet nicht unbedingt, daß frühere Intentionen völlig verworfen werden. In einem fortwährenden Anreicherungsprozeß geht so manches davon in eine erweiterte Wahrnehmung und künstlerische Reflexion der eigenen Existenz und des gesellschaftlichen Umfelds ein.

SeeleAuf die Verwendung von Röntgenbildern kam Pat Binder durch Zufall. Nach dem Studium der Malerei unterrichtete sie zunächst Kunsterziehung. Das war zum Überleben nötig und gab Zeit für eine Distanzierung von den Kriterien ihrer eigenen künstlerischen Ausbildung, die sie noch während der Militärdiktatur absolvierte. Es erschien ihr unfaßbar, wie man sich jahrelang abgehoben von der Realität nur mit Problemen des Pinselstrichs, der Komposition und der Farben beschäftigen konnte, während im Lande gemordet wurde und Nachbarn für immer verschwanden. Eine derart isolierte Welt der Malerei hinterließ das erschreckende Gefühl einer unglaublichen Ignoranz. Weil sie von daher den malerischen Mitteln mißtraute, suchte sie nach anderen, eindringlicheren Ausdrucksmöglichkeiten, mit denen das Geschehene direkter zu fassen wäre. Damit schwamm sie gegen den »mainstream«, denn um die Mitte der achtziger Jahre war in der internationalen Kunstszene, und auch in Argentinien, gerade der »Hunger nach Bildern« angesagt.

Als im Unterricht die Monotypie geübt wurde, fanden Schüler und Lehrerin in der glatten Fläche von Röntgenaufnahmen einen billigen Ersatz für die normalerweise als Druckunterlage verwendeten Metallplatten. Bald schon wurde Pat Binder die formale Intensität der lichtdurchlässigen Schwarzweißbilder vom verborgenen Inneren des Menschen bewußt. Das Knochengerüst durchleuchteter Körper erlangte für sie die Bedeutung eines existentiellen Zeichens von weitreichender Symbolik. Je nach dem Kontext, in den sie es durch die Kombination mit anderen Elementen in ihren Assemblagen stellte, variieren die Assoziationsmöglichkeiten innerhalb eines relativ begrenzten Spektrums. Zumeist geht es um die gemarterte Kreatur, das Aufscheinen transparenter Körper aus einem Nichts, in dem sie spurlos verschwanden, um ein Gefangensein oder ein beziehungsreiches, makabres Spiel mit einzelnen Extremitäten als Fortsatz fragiler Konstruktionen. Unscharfe Projektionen einzelner Bilder auf die dahinterliegende Wand steigern die Dramatik und lassen eine überhöhte, immaterielle Ebene aus Licht und Schatten entstehen. Immer wieder reflektiert sie in meditativen Objekten die eigene Befindlichkeit.

Ero-GlyphenDaneben wandte sie sich anderen Materialien und Techniken zu. Dank ihrer Sammelleidenschaft hatte sie seit der Kindheit Schwemmhölzer, Baumrinden, Steine, Stöcke und eine Menge weiterer Fundstücke zusammengetragen, die ihr nun als Material für ihre Kunst dienten. Neben einzelnen Assemblagen und Objekten realisierte sie die ersten größeren Installationen. Noch immer zeichnete sie. So schuf sie ausgehend von der Maya-Schrift eine Serie von »Ero-Glyphen«, erotischen Piktogrammen auf langen Bahnen aus Zeitungsseiten. Das dabei auffällige Bemühen um eine zeichenhafte Verdichtung und Prägnanz ist auch in anderen Arbeiten zu erkennen und gehört seit damals zu den Konstanten ihres Schaffens.
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Veröffentlicht in:
Pat Binder: Zapping. Institut für Auslandsbeziehungen, Berlin 1996, Seiten 8 - 13
Katalog zur Ausstellung in der ifa-Galerie Berlin, 22.März - 5. Mai 1996


©  Gerhard Haupt / Website: Pat Binder