Foto/Graphik Galerie Käthe Kollwitz. Ein Projekt von Pat Binder

Andrea Gärtner, Kulturamtsleiterin von Prenzlauer Berg

Eine gekürzte Fassung diese Textes erschien in Dmitri Prigovs Katalog zu seiner Austellung in der ifa-Galerie Berlin (Januar - März 1999)

Das Haus Kollwitzstraße 58 in Prenzlauer Berg, in dem das Ehepaar Kollwitz jahrzehntelang gelebt und gearbeitet hatten, wurde 1943 durch Bomben völlig zerstört. Nach 1945 ist das Grundstück nur teilweise wiederbebaut worden. Zur Erinnerung an die Künstlerin und den Armenarzt errichtete der Magistrat von Berlin die Originalplastik "Mutter mit zwei Kinder" von Käthe Kollwitz an der Stelle der bewußt ausgesparten ursprünglichen Eckbebauung als Denkmal. Mit der 1996 erfolgten Baugenehmigung für einen sozialen Wohnungsneubau auf dem attraktiven Eckgrundstück am Kollwitzplatz mußte das DDR-Denkmal dem Lückenbau weichen und erhielt einen anderen Standort im Bezirksamt Prenzlauer Berg.
Wie sollte jedoch der Ort ohne Denkmal in Zukunft markiert werden? Der Bauherr des Neubaus verpflichtete sich ein neues Kunstwerk oder eine Gedenktafel zu finanzieren. Das Bezirksamt Prenzlauer Berg lobte daraufhin einen künstlerischen Wettbewerb zur Errichtung eines modernen Denkzeichens aus.
In dem zweistufigen Wettbewerb war die Frage zu entscheiden, ob ein neues Kunstwerk an dem vorgezeichneten Ort geschaffen werden soll, oder ob ein neues Konzept für ein Denkzeichen entwickelt werden kann. Das offene Lichtkasten-Projekt von Pat Binder überzeugte die Jury. Ihr Entwurf sieht vor, eine Foto/Graphik Galerie Käthe Kollwitz in einem Werbelichtkasten am Neubau zu installieren. Mit dem Hinweis auf die Künstlerin Käthe Kollwitz und deren ehemaligem Wohnort wird vierteljährlich eine neue künstlerische Position vorgestellt, die dem humanistischen Geist von Kollwitz nahe ist. In der Öffentlichkeit des Bezirks Prenzlauer Berg hingegen wurde das Konzept als "Zeitgeistvariante", die über das Medium eines normalen Werbekastens die Ästhetik einer "gesäuberten" Stadt funktioniert, heftig kritisiert.
Pat Binder baut am Neubau einen kleinen, neuen Raum für zeitgenössische Kunst, die im sozialen und politischen Kontext öffentlich wirksam werden will. Medium ist ein herkömmlicher Werbelichtkasten. Der Kontext ist allerdings aufgeladen mit der gesamten Problematik der von vielen Alt-Bewohnern als "Belagerungszustand" empfundenen starken Veränderungen in Prenzlauer Berg, die sich besonders deutlich am Kollwitzplatz zeigen.
Der Versuch, ein lebendiges Denkzeichen zu setzen, ist in mehrfacher Hinsicht eine Herausforderung an die Künstler, die Anwohner und alle Interessierten.
Da die Endlichkeit der ästhetischen Botschaft (der jeweiligen Präsentation) Intention des Konzepts ist, wird sich immer wieder neu erweisen müssen, wie ernst sich das Erinnern und Gedenken manifestiert. Die regelmäßigen Vernissagen verdeutlichen jedoch schon durch die zahlreichen Ausstellungsbesucher ein großes Interesse an Arbeiten im öffentlichen Raum. Passanten bleiben auf der Straße stehen und riskieren den Augenblick nach der Irritation.
Die Öffentlichkeitsstrategien der zeitgenössischen Kunst unterliegen den Risiken, die Kommunikation mit ihren medialen Formen in sich birgt: die unterschiedlichen Konnotationen auf die sie trifft, können bis zur Neutralisierung der Botschaft führen.
Die bisher präsentierten Arbeiten von Nuria Quevedo, Ulrich Wüst, Thomas Florschuetz, Esther Shalev-Gerz und Via Lewandowski haben verdeutlicht, daß der zweite Blick in den Werbekasten die künstlerische Botschaft jedoch offenbart. Die Brücke muß der Betrachter immer selbst bauen.