Resistance-images  (4. Teil)
Von Gerhard Haupt

Zapping-Line (Detail), 1996Den jüngsten Arbeiten [den 1995 - 1999 entstandenen] liegt eine intensive Beschäftigung mit einem zusehens von den elektronischen Medien beeinflußten Realitätsbegriff zugrunde. Darin geht es insbesondere um die Bilderflut, der wir heutzutage ausgesetzt sind und die unsere Wahrnehmung maßgeblich beeinflußt. Doch es wird über diese nicht aus der Perspektive einer distanzierte Medienkritik à la Neil Postman (»Wir informieren uns zu Tode«) räsoniert, sondern allgemeinen Zuständen im Wissen um das persönliche Involviertsein nachgegangen. Wir halten uns für umfassend und in der Regel wahrheitsgetreu informiert, nehmen tatsächlich aber selektierte Segmente der Wirklichkeit und die Projektion im weitesten Sinne selbstverfertigter Bilder wahr. Wie Flusser schrieb, führt ein »Feed-back-Bogen« dahin, daß diese Bilder zusehens besser werden, immer mehr so, wie die Empfänger sie haben wollen, wodurch die Empfänger sich selbst wiederum immer mehr den Bildern anpassen. Unser Umgang mit den vermeintlich objektiven Ausschnitten der Realität, mit den Fenstern zur Welt, läßt ein reflexives Verhältnis von Sein und Schein erkennen. »Wir sind daran, eine Bewußtseinsebene zu erklimmen, auf welcher das Erforschen der tieferen Zusammenhänge, das Erklären, Aufzählen, Erzählen, Berechnen, kurz das historische, wissenschaftliche, textuell lineare Denken von einer neuen, eingebildeten, 'oberflächlichen' Denkart verdrängt wird. Und daher hat es für uns jeden Sinn verloren, zwischen Eingebildetem, zwischen Fiktivem und 'Realem' unterscheiden zu wollen.« [1]

Das als Tatsache anzuerkennen impliziert nicht zwangsläufig, sich damit abzufinden. Es bleibt das Bedürfnis bestehen, sich im Trommelfeuer äußerer Einflüsse und permanenter Verunsicherungen als Subjekt zu definieren. Das heißt dahinterzukommen, was das Eigene, einem selbst Entsprechende ist und inwieweit man sich dem Druck gesellschaftlicher Konventionen, einer Gruppendynamik innerhalb bestimmter soziokultureller Milieus, der Erwartungshaltung anderer Personen oder eben von den Medien propagierten Verhaltensmustern und Werten in einer Weise unterwirft, die nicht der individuellen Persönlichkeitsstruktur und Befindlichkeit entspricht. Aus diesem Grunde war wohl nicht allein der künstlerische Anspruch gemeint, als Pat Binder in ihrem »Zapping«-Text schrieb, sie bemühe sich um eine »überlebensnotwendige Selbst(er)findung«, um ein »Eigenprogramm«, das sie als »Schützengraben meiner Sehnsüchte und Ängste, als Werbespot meines innersten Selbstgefühls« akzeptieren kann.

Zapping-Line, 1996Die künstlerische Reflexion gesellschaftlicher Phänomene und eine auf die eigene Psyche gerichtete Selbstbefragung können bei ihr zwei eng miteinander verwobene oder aber relativ autonom nebeneinander existierende Seiten ein und desselben Werkes sein. Die »Zapping-Line« ist sowohl ein Ausdruck der mediatisierten Realität, die täglich über die Mattscheiben in die Wohnzimmer drängt, als auch ein persönliches Psychogramm. Damit soll beileibe nicht behauptet werden, daß die schwarzen Flächen, welche durch die Überlagerung vieler Bilder zustande kommen und einen »Informations-GAU« signalisieren, unbedingt einen »blackout« registrieren. In dieser Arbeit ist es Pat Binder besonders gut gelungen, der Gleichzeitigkeit und Interdependenz der Wahrnehmung und des Erlebens, die mit den elektronischen Medien über uns gekommen ist, mit statischen Mitteln eine adäquate künstlerische Entsprechung zu geben. Angesichts einer so tiefgreifenden Auseinandersetzung mit diesem Thema verwundert es indes nicht, daß sie sich jetzt direkt des Mediums der bewegten Bilder bedient. Möglicherweise kündigt die Videoinstallation »balottement«, eine faszinierende und sehr eindringliche Arbeit, eine völlig neue Phase in ihrem Schaffen an. Man darf gespannt sein, welche Energie und Kreativität sie weiterhin entwickelt, um sich im immer stärker anschwellenden Bilderstrom zu behaupten und ihr »Eigenprogramm« in diesen einzubringen. Bisher ist ihr das ohne Zweifel auf höchst interessante und unverkennbar persönliche Weise gelungen.

Anmerkung:

[1] Vilém Flusser: Ins Universum der technischen Bilder. European Photography, 4. Auflage, Göttingen 1992, S. 44
  3. Teil Texte  

Veröffentlicht in:
Pat Binder: Zapping. Institut für Auslandsbeziehungen, Berlin 1996, Seiten 8 - 13
Katalog zur Ausstellung in der ifa-Galerie Berlin, 22.März - 5. Mai 1996


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